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Rückblick

Mario
Rizzi

Im IBB-Videoraum

Video still: Mario Rizzi, The Little Lantern, 2019

Mario Rizzi, The Little Lantern, 2019

© Mario Rizzi, Courtesy the Artist and Italian Council

„Bayt“ heißt auf arabisch wörtlich übersetzt das Haus, meint im weiteren Sinn aber auch das Zuhause als Ort des Angekommenseins, der Verwurzelung. Mario Rizzi (*1962 in Barletta, Italien) erzählt in seiner gleichnamigen Trilogie von drei Frauen aus Syrien, Tunesien und dem Libanon. Sie erschaffen, trotz widrigster Umstände, durch ihr außergewöhnliches Engagement ein solches Zuhause – wobei das Private immer auch politisch ist.

Rizzis Arbeitsweise zeichnet sich durch die Verbindung zu seinen Protagonist*innen aus: Seine Werke entstehen in enger Zusammenarbeit mit ihnen. Im Gegensatz zu einer dokumentarisch-journalistischen Herangehensweise bemüht er sich nicht um Neutralität. Vielmehr gibt er jenen eine Stimme, die weniger privilegiert sind und häufig als „die Anderen“ wahrgenommen werden. So stellt er eine empathische Verbindung zwischen ihnen und dem Publikum her.

Al Intithar (2013, 30 Min.)

Im Zentrum des ersten Teils „Al Intithar“ steht Ekhlas Alhlwani, die mit ihren drei Kindern aus Syrien fliehen musste und nun in Zaatari, einem Flüchtlingslager in der jordanischen Wüste, lebt. Rizzi hat ihren von Perspektivlosigkeit geprägen Alltag sieben Wochen lang begleitet. Er zeigt, wie Alhlwani sich bemüht, trotz der schwierigen Zustände im Lager eine Form der Normalität für ihre Familie herzustellen. Obgleich die politische Situation kaum explizit thematisiert wird, gibt der Film eindrücklich die Grausamkeit des Kriegs wieder. Er blickt vor allem aber auch auf den Zustand der Ungewissheit und Heimatlosigkeit, dem die geflüchteten Menschen ausgeliefert sind.

Kauther (2014, 29 Min.)

Der zweite Teil „Kauther“ konzentriert sich auf das bürgerschaftliche Engagement, das den sogenannten arabischen Frühling hervorgebracht hat. Im Zentrum des Films steht die Aktivistin Kauther Ayari, die zu Beginn der tunesischen Revolution 2011 als Erste öffentlich zu Protestierenden sprach, um Freiheit und Demokratie zu fordern. Trotz ihrer zentralen Rolle für die Geschehnisse – 6 Tage später trat der Diktator Ben Ali zurück – ist Kauther Ayari bereits in Vergessenheit geraten. In einem langen Monolog reflektiert sie die politischen Geschehnisse in Tunesien, aber auch ihre eigene Biografie und die patriachale Dominanz, die sie in verschiedenen Bereichen ihres Lebens erfahren musste. Rizzis Arbeit kann nicht nur als Tribut an diese bemerkenswerte Frau verstanden werden, sondern stellt zugleich die Frage, wer in der Geschichtsschreibung repräsentiert und wer vergessen wird.

The Little Lantern (2019, 61 Min.)

Der dritte Teil, „The Little Lantern“, erzählt die Geschichte von Anni Høver Kanafani, einer 84-jährige Dänin. Sie zog in den 1960er Jahren aus Liebe zu dem palästinensischen Schriftsteller und Politiker Ghassan Kanafani in den Libanon. Nach der Ermordung ihres Mannes und seiner Nichte Lamis – mutmaßlich durch den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad – blieb Kanafani im Libanon und widmete sich ihrem Lebenswerk, der Gründung von Kindergärten in Flüchtlingsunterkünften für Palästinenser*innen.

Der Film ist nach einem Märchen benannt, das Ghassan Kanafani für seine Nichte geschrieben hatte, und das metaphorisch von der Niederreißung von Mauern und Etablierung einer Demokratie handelt. Rizzi adaptierte dieses Märchen und brachte es mit Kindern aus den von Anni Kanafani gegründeten Kitas zur Aufführung. Der Film gliedert sich in drei Teile: Neben Aufnahmen der Proben und der finalen Aufführung spielen Interviews mit Anni Kanafani eine zentrale Rolle, in denen sie von ihrem außergewöhnlich engagierten Leben berichtet. Rizzi gelingt es durch die dramaturgische Verknüpfung dieser unterschiedlichen  Erzählstränge, Geschichte und Gegenwart, Fiktion und Realität zu verbinden. Er zeigt so das utopisch-widerständige Potenzial sowohl der Künste als vor allem auch von Anni Kanafanis Engagement.

IBB-Videoraum

Im IBB-Videoraum werden seit 2011 im monatlichen Wechsel Künstler*innen präsentiert, die mit zeitbasierten Medien arbeiten. Das Programm umfasst nicht nur etablierte Namen der zeitgenössischen Videokunst, sondern auch junge Positionen, die bisher kaum in Museen zu sehen waren. Ihnen soll in der Berlinischen Galerie ein erster institutioneller Auftritt ermöglicht werden. Jeder Monat erlaubt eine neue Auseinandersetzung mit Werken, die mediale oder auch politische und soziale Fragestellungen anstoßen. Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, marginalisierten Perspektiven Raum zu geben und Auswirkungen von Machtstrukturen sichtbar zu machen.

Die Realisierung erfolgt mit freundlicher Unterstützung der