„Tempeltanz der Seele“ des deutschen Jugendstilkünstlers Fidus, mit bürgerlichem Namen Hugo Höppener (1868–1948), war in der Berlinischen Galerie so ein Fall. Der fünfteilige Gemäldezyklus wurde 1974 als eines der allerersten Werke für unsere Sammlung angekauft. Der Verkäufer war ein großer Bewunderer von Fidus und es lag nahe, dass der Mann das Werk direkt vom Künstler erhalten hatte. Doch dann entdeckte Dr. Wolfgang Schöddert, Provenienzforscher der Berlinischen Galerie, eine verdächtige Postkarte im Nachlass von Fidus, der sich ebenfalls in unserem Haus befindet. Auf dieser Karte, die der damalige Eigentümer 1947 an den Künstler geschickt hatte, hielt Fidus fest, der Mann habe das Werk „von den jüdischen Erben Neuhäuser nach 1933“ erworben.
Spürsinn ist gefragt, wenn man als Provenienzforscher*in arbeitet. Die Suche nach Informationen zur Herkunft von Kunstwerken ist echte Detektivarbeit. Für viele Museen geht es dabei vor allem um die Frage, ob sich in ihren Sammlungen Werke befinden, die ihren Eigentümer*innen im Nationalsozialismus geraubt oder abgepresst wurden. Um das herauszufinden sind oft umfangreiche Recherchen nötig, und das ist manchmal spannend wie ein Krimi.
Schöddert ging dem Schicksal der Familie Neuhäuser nach und stieß auf eine dramatische Geschichte: Der Berliner Fabrikant Richard Neuhäuser und seine Frau Meta hatten den Zyklus 1910 bei Fidus in Auftrag gegeben. Meta starb 1928, Richard und die gemeinsame Tochter Gabriele wurden nach 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt und entrechtet. Unmittelbar gefährdet nahm sich Richard Neuhäuser 1935 das Leben. Der Tochter gelang die Flucht nach Australien. Für „Tempeltanz der Seele“ gab es einen Interessenten, doch der Verkauf an ihn fand unter dem lebensbedrohlichen Druck der nationalsozialistischen Diktatur statt. Weiteren Familienbesitz musste Gabriele Neuhäuser zurücklassen.
Mit diesem Wissen suchte Schöddert nach den Erben, ein schwieriges Unterfangen, denn in Australien gibt es kein Melderegister. Schließlich fand der Provenienzforscher in sozialen Netzwerken im Internet eine Spur, die ihn zu den beiden Töchtern von Gabriele Neuhäuser in Australien und den USA führte. Sie waren überrascht und berührt von den Nachrichten aus Berlin. Unser Museum konnte nun „Tempeltanz der Seele“ an die Enkelinnen des Sammlers zurückgeben und nach der Restitution erneut erwerben – eine gerechte, faire Lösung und eine Geste der Versöhnung, über die wir uns gemeinsam mit unseren Besucher*innen freuen.