Verträumt blickt die porträtierte Schriftstellerin Til Brugman (1888–1958) an uns vorbei. Humorvolle oder gar satirische Zeitbezüge, die Hannah Höchs (1889–1978) Werke sonst auszeichnen, fehlen hier. Stattdessen reißt die Künstlerin Buntpapier zu Fetzen auseinander und baut aus ihnen eine malerische Collage, in der einzelne Papierschnipsel in einer modellierten und mosaikartigen Form wie dicke Malstriche auf Papier wirken.
Im Laufe ihrer Karriere nutzt die Dadaistin Höch die Collage, um empfundene gesellschaftliche Missstände, beispielsweise die Institution Ehe, kritisch darzustellen und zu sezieren. Mit ihrem Werkzeug (der Schere) zerschneidet sie Bilder oder Texte aus zeitgenössischen Medien und baut sie zu neuen, deformiert anmutenden Porträts zusammen. Die Identitäten der Figuren sind oft nicht zu fassen: Wen oder was sehen wir hier eigentlich? Sie entziehen sich dem Bedürfnis der Betrachter*innen, Gesehenes in stereotype Kategorien einzuordnen.
Anders verhält es sich mit dem Porträt von Brugman. Statt destruktiv zu arbeiten, wählt Höch die Ausdrucksform des Zusammensetzens. Ihr Werkzeug sind ihre Hände. In zarten Farben gehalten, fordert das Bild eine eindringliche und sensible Auseinandersetzung mit der Dargestellten ein, indem wir versuchen, sie zu greifen und aus einzelnen Fragmenten wieder zusammenzusetzen. Aus vielen kleinen Teilen baut Höch jene Gesamtheit, die Brugman für sie verkörpert.
Höchs Porträt ihrer Lebensgefährtin entsteht 1927. Zu diesem Zeitpunkt wohnt das Paar in Den Haag, wo es sich mit Höchs Katze „Ninn“ von 1926 bis 1929 niederlässt. Hatte Höch sich zuvor schon mit stereotypen Frauenbildern auseinandergesetzt, führt ihre Beziehung mit Brugman zu einer intensiveren Beschäftigung mit heteronormativen Geschlechterrollen. Höchs Collagen sind divers, denn sie lösen Geschlechtszugehörigkeiten auf.
Autor*in
Denise Handte
Ehem. Wissenschaftliche Volontärin
Pronomen: sie/ihr
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Kontakthope, 2010