Klaus Vogelgesang (* 1945) siedelte 1965 nach West-Berlin über. Die geteilte Stadt war zu diesem Zeitpunkt nach wie vor vom Krieg gezeichnet und blieb es lange darüber hinaus. Zudem bildete die Mauer eine weitere innerstädtische Wunde. Der anhaltende Zustand der Zerrüttung Berlins begünstigte jedoch auch alternative Lebensmodelle und -entwürfe. Eine freie Kunstszene entfaltete sich im Berliner Westen und gab Klaus Vogelgesang die Möglichkeit, seine Bildsprache zu entwickeln. Bis heute thematisiert der Künstler in seinem Werk Sexualität, Körperbilder und Geschlechterrollen.
Die Druckgrafik „Haare unterm Arm“ aus dem Jahre 1971 rückt die Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit in den Fokus. Auf der Mitte des Kartons sind als fein umrissene Linien die Konturen einer Person auszumachen. In lässig-lasziver Pose hält sie ihren linken Arm erhoben. Die Hand ist dabei vom Kopf verdeckt, wobei sie gerade eben noch durch die Frisur gefahren sein muss. Achselhaar wird entblößt. Die Gesichtszüge der Figur sind ausgeprägt und kantig, ihre Oberarme und Schultern muskulös. Rund geschwungene Augenbrauen und volle Lippen ergänzen die Darstellung. Um den Brustkorb geschlungen trägt sie ein enges, trägerloses Bandeautop, sodass sich gequetscht Brüste hervorheben. Allerhand verspielte Zeichen und Symbole verteilen sich über den Stoff des Kleidungsstücks. Brust, Hals, Mundwinkel und Unterlid sind von Falten überzogen. Gerahmt und flankiert wird die Figur von Fabelwesen, Flora und Fauna in Hieronymus-Bosch-Manier.
Den sozialen Status oder die geschlechtliche Identität des hier dargestellten Menschen zu kommentieren, käme einer undifferenzierten Zuschreibung gleich. Warum sollte über Vereinheitlichungen entschieden werden, wenn Identitäten doch komplex und daher nicht immer binär zu verhandeln sind? Indem Klaus Vogelgesang die Sex- und Gender-Identität der von ihm porträtierten Person offen lässt, enttarnt er das Konstrukt gesellschaftlicher Kategorien. Er montiert Geschlechterstereotypen aneinander und ermöglicht dadurch vielfältige sowie genderqueere Lesarten, die cis-heteronormative Vorstellungen überwinden. Auch der von Ironie gespickte Bildtitel gibt kaum Auskunft über das Bildnis. Allerdings lenkt er den Blick auf die stets diskutierte und in vielen Kulturräumen häufig noch immer tabuisierte menschliche Körperbehaarung.
Autor*in:
Julia Miriam Strauß
Ehem. Wissenschaftliche Volontärin
Pronomen: sie/ihr
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