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Werner Heldt

Meeting (Aufmarsch der Nullen), 1933–1935

Brachiale Menschenmengen, laut, obwohl es still ist, kohlstiftstill. Es ist nicht die Love-Parade oder eine beliebige Fridays-for-Future-Demo. Und trotzdem, vielleicht auch gerade deshalb, schreit mich ein Weiß, eine Norm an. Es ist erdrückend, es ist privilegiert, selbst der Aufschrei und die Kritik an dieser Ansammlung auf dem Kunstwerk sind es. Selbst der Körper, der diese Linien zieht, darf einfach beobachten. Ist das leicht? Wahrscheinlich nicht. Ist das gewollt? Ich weiß es nicht.

Ich bewege mich am Bildrand entlang. Häuserwände, ein riesiger Platz und Menschenmassen, die erst bei genauerer Betrachtung meine Erkenntniswände weniger abstrakt tapezieren. Die Nullen fallen auf. Ich sehe schwarze Fahnen, die wie Haifischflossen durchs Menschenmeer navigieren. Ich sehe Transparente, die keine Aufschriften brauchen, weil die Nachricht klar ist. Doch was hat Werner Heldt zu sagen?

Nullen und Nullen, was anderes darf in jener Zeit nicht existieren, ist nicht gewollt. Die Binarität, Banalität hört einfach nicht auf. Fortgeführt? Ich hätte es mir damals nicht leisten können, eine unsichtbare Null zu sein, wäre nie eine geworden, und heute ist das ebenso. Welche der Nullen beschreibt Heldts eigenen, privilegierten Anteil, das Grausame beobachten zu dürfen, zu müssen? Von wo aus blickt die zeichnende Person auf das zerstörerische Szenario?

Und immer, immer wieder Fragen: Wo wäre ich in diesem Werk? Ich suche meine Leute. Ich suche die Nicht-Norm und die verwobenen gesellschaftspolitischen Anteile im Bild. Wo sind die Mehrschichtigen, die Widerständigen? Reicht es schon aus, den Schock, das Angewidertsein künstlerisch fühlbar zu machen? Was kommt danach, was verbirgt sich transformativ dahinter? Wo ist Heldts tiefe Schwere und die Angst davor, dass die eigene Positionierung entlarvt wird, ein Seelenzustand, der Heldt fast das ganze Leben begleitete? Sie sind nicht zu finden. Und trotzdem suche ich sie sehnlichst.

Einen letzten Blick auf den Aufmarsch, ich suche mich noch immer und erschrecke mich noch immer, wenn ich die Perspektive betrachte, von der Werner Heldt zeichnet. Ist das ein Dach, eine Bühne, ist das ein Versteck? Wäre das auch mein Ort?

 

Gastautor*in:
Stefanie-Lahya Aukongo
Künstlerin und Poetin
Pronomen: keine, sie/ihr

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